Neue Chancen für die Binnenhäfen Dortmund, den 23.04.2023

Interview mit BÖB-Präsident Joachim Zimmermann

Wie sieht die Zukunft der Binnenhäfen aus? Welche Rolle spielen sie bei der Verkehrswende und in der Wasserstoffwirtschaft? Wir sprachen darüber mit Joachim Zimmermann, Präsident des Bundesverbandes Öffentlicher Binnenhäfen (BÖB).

Drehkreuz für grüne Zukunftsenergien, Ankerplatz der City-Logistik oder tragende Säule einer klimafreundlichen Verkehrsverlagerung – durch welche Eigenschaften werden die Binnenhäfen der Zukunft geprägt sein?

Joachim Zimmermann: Multimodal, international vernetzt, große Wertschöpfungstiefe, also nicht nur Umschlag und Lagerung, sondern auch Produktion und Veredelung. Großer Branchenmix. Also viel Veränderung und doch eine Konstante: Häfen sind und bleiben versorgungsrelevant

Auf der BÖB-Jahrestagung wurde dem Thema Wasserstoff besonders viel Raum gegeben. Welche Rolle können die Binnenhäfen dabei spielen, mit neuen Energieträgern die Energiewende in Deutschland voranzubringen?

Joachim Zimmermann: Wie bei der Verkehrswende werden sie auch bei der Energiewende eine entscheidende Rolle übernehmen. Das hat die Bundesregierung erkannt und die neue Nationale Hafenstrategie auf den Weg gebracht, eines der Ziele ist, Häfen zu nachhaltigen Knotenpunkten der Energiewende zu entwickeln. Auch heute sind die Binnenhäfen mit ihrer Infrastruktur wichtige Knotenpunkte für die Energiewirtschaft. Kraftstoffe und Heizöl werden per Schiff und Bahn angeliefert, im Tanklager zwischengelagert und dann an Haushalte, Tankstellen und Land- und Bauwirtschaft verteilt, so wird die Versorgung sichergestellt. Die Häfen können auch für neue Energieträger wie grünen Wasserstoff und synthetische Fuels die passenden Lösungsmöglichkeiten anbieten.

In Vorbereitung einer leistungsfähigen Wasserstoffwirtschaft gibt es vielerorts erste Bedarfsanalysen. Welche Weichenstellungen müssen nun folgen, um die Potenziale der Binnenhäfen für Herstellung oder Distribution von Wasserstoff erfolgreich zu heben?

Joachim Zimmermann:  Die Umschlags- und Tanklager-Infrastruktur und insbesondere das Know-how in Sachen Logistik von Energieträgern ist in den meisten Häfen vorhanden. Sie kann und muss auch für Energieträger der Zukunft genutzt werden. Voraussetzung dafür ist eine planungsrechtliche Absicherung. Unternehmen werden nur investieren, wenn sie verlässlich planen können und Entwicklungsmöglichkeiten haben. Und ähnlich wie Bahninfrastruktur benötigt auch die schifffahrtsseitige Infrastruktur eine bessere rechtliche Absicherung.

Bei der Entwicklung einer Nationalen Hafenstrategie durch den Bund gehören auch die Länder und Kommunen mit ins Boot. Um die Häfen aus dem föderalen Dickicht unterschiedlicher Zuständigkeiten, komplexer Genehmigungsverfahren sowie zeit- und kostenaufwendiger Vorgaben zu befreien, fordern wir als Bundesverband Öffentlicher Binnenhäfen ein spezifisches Verkehrsknotengesetz. Auch braucht es eine europäische Hafenstrategie, weil Wasserstraßen und Schienen nicht an Grenzen enden.

Vom Bund bis zur EU – seit einigen Jahren wird gefordert, mehr Verkehr von der Straße auf Schiene und Wasserstraße zu verlagern. Dieses Ziel ist zum Beispiel auch im „Masterplan Binnenschifffahrt“ des Bundesverkehrsministeriums verankert. Wie kann aus den Absichtserklärungen eine echte Verkehrswende werden?

Joachim Zimmermann: Wir brauchen gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle Verkehrsträger. Die bereits seit Jahrzehnten dauernde Vernachlässigung der Wasserstraßen muss beendet werden. Das Hangeln von Haushalt zu Haushalt ist nicht mehr akzeptabel. Auf der Schiene gibt es nahezu keine freien Kapazitäten mehr und durch die geplanten Sanierungen wird es zusätzlich Engpässe geben. Wo möglich sollten daher Binnenschiffe Massengüter befördern und nicht Eisenbahnen, damit diese die dann frei gewordenen Trassen für KV-Züge nutzen können. Auch für Großraum- und Schwertransporte ist das Binnenschiff ideal, das ist auf der Straße mit deutlich mehr Aufwand verbunden, die Voraussetzung für den Wechsel von der Straße aufs Schiff ist in den Häfen vorhanden. Eine Verkehrsverlagerung wäre hier auch noch in deutlich größerem Maße möglich.

Bei Wasserstraßen denkt man zumeist an den Bund, der in der Verantwortung ist, die Infrastruktur (Schleusen, Poller etc.) in Schuss zu halten. Was können darüber hinaus Länder und Kommunen beitragen, um die Häfen als Drehscheiben der Daseinsvorsorge zu unterstützen?

Joachim Zimmermann: Funktionierende Hafenflächen müssen geschützt werden – sei es vor einer Einschränkung durch Nutzungsänderungen der Nachbarschaft wie Wohnen oder dass Hafenflächen in größerem Stil anderweitig genutzt werden. Bestehende Beeinträchtigungen müssen im Sinne einer gegenseitigen Rücksichtnahme minimiert werden. Und auch wenn Flächen in Umbruchsphasen kurzfristig nicht von den Häfen gebraucht werden, dürfen sie nicht vorschnell aufgegeben werden und die Häfen dadurch in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt werden. Häfen brauchen Platz. Letztlich profitieren die Städte davon, wenn sich verkehrsintensive Unternehmen im Hafen bündeln, wo die passende Infrastruktur zur Verfügung steht, und dadurch den städtischen Raum entlasten. Für die Versorgungsfunktion der Regionen hat der Erhalt der wertvollen Hafen-Infrastruktur einen hohen Stellenwert.

Die Nachfrage nach Gewerbeflächen für Industrie und Logistik kann in vielen Binnenhäfen kaum noch befriedigt werden. Durch eingeschränkte Möglichkeiten, just in time zu produzieren, ist zudem der Bedarf an Pufferlagern gewachsen. Wie dringend benötigen die Binnenhäfen Erweiterungsflächen und welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?

Joachim Zimmermann: Häfen müssen sich ständig weiterentwickeln, sie sind Spiegelbild der Wirtschaft. Auch wenn es für Laien oft anders aussieht, schon jetzt kommt es bei Lagerflächen zu Kapazitätsengpässen. Denn durch die aus der Volatilität der weltweiten Warenströme resultierenden heutigen Logistikkonzepte werden auch immer mehr Lagerfläche und vor allem größere zusammenhängende Grundstücke benötigt, insbesondere Pufferläger werden gebraucht. Eigentlich müssten Hafengebiete erweitert werden, sind aber der Konkurrenz um Flächen mit der Stadtentwicklung ausgesetzt. Wir brauchen eine höhere Akzeptanz für die Notwendigkeit logistischer Flächen. Wir Binnenhäfen sind gefordert, die Funktion und Bedeutung noch stärker zu vermitteln – auch mit Unterstützung der Hafenkunden und Industrie.

Herr Zimmermann, wir bedanken uns für das Gespräch.

Das Interview führte Pascal Frai, Pressesprecher der Dortmunder Hafen AG.